„Nein, aber…“ – Was ich in der Praxis zum Schweizer Klimarückstand erlebe
- Daniel E. Bubendorf
- 4. Apr.
- 2 Min. Lesezeit

Ein Kommentar aus dem Maschinenraum der Lieferketten.
Ich arbeite tagtäglich an der Schnittstelle zwischen Industrie, Handel und Logistik. Ich begleite Unternehmen dabei, ihre Supply Chains resilienter, effizienter – und nachhaltiger zu gestalten. Und trotzdem ertappe ich mich selbst immer wieder beim Kopfschütteln, wenn ich Berichte wie den von Reto Knutti lese. Der jüngste Absturz der Schweiz im Klimaschutz-Ranking ist kein Zufall. Es ist die logische Folge einer Haltung, die ich aus zahllosen Projekten nur zu gut kenne: Wir sind ein Volk von Ja-aber- und Nein-Sagern geworden.
„Nachhaltigkeit? Ja, aber nicht jetzt.“
Viele Unternehmen, mit denen ich zusammenarbeite, bekennen sich verbal zur Klimaverantwortung. Auf Webseiten liest man von Netto-Null-Zielen, ESG-Initiativen und CO₂-Reduktionsversprechen. Doch wenn es konkret wird – etwa bei der Umstellung auf emissionsärmere Transportpartner, der Digitalisierung von Materialflüssen oder der Analyse von Scope-3-Emissionen entlang der Lieferkette – dann folgt oft das grosse Zögern: „Das ist aktuell nicht unser Fokus“, „Unsere Kunden fragen das (noch) nicht nach“ oder „Das verursacht erst mal nur Kosten“.
Ich erlebe täglich, wie viel einfacher es ist, bekannte Pfade nicht zu verlassen. Dabei ist es genau dieser Stillstand, der uns als Land zurückwirft. Unsere Emissionen importieren wir längst mit – mit jedem Container, der via Hafen Rotterdam unsere Fabrikhallen erreicht, mit jeder Billigkomponente aus Fernost. Es reicht eben nicht, dass wir „im Inland“ grün aussehen. Unsere Lieferketten erzählen oft eine andere Geschichte.
„Wir müssten…“ – aber es scheitert an Mut und Klarheit
Was mich besonders umtreibt: Die Werkzeuge für mehr Nachhaltigkeit im Supply Chain Management sind längst da. Von Lifecycle-Analysen über Circular-Sourcing-Konzepte bis hin zu KI-gestützten Bedarfsprognosen und CO₂-Monitoringsystemen. Viele davon kosten nicht die Welt. Einige sparen sogar Geld. Aber: Sie brauchen eine Entscheidung. Ein klares Ja, wir tun das jetzt.
Stattdessen wird oft auf Bundesebene gebremst und im Unternehmen vertagt. Es fehlt der politische Mut genauso wie die operative Entschlossenheit. Förderprogramme werden gekürzt, ambitionierte Projekte im Beschaffungswesen versanden. Es entsteht das Gefühl: Klimaschutz ist Kür, nicht Pflicht.
Die Enkelverantwortung im Alltag sichtbar machen
Ich glaube: Wir haben in der Schweiz das Wissen, die Technologie und die wirtschaftliche Stärke, um Vorreiter zu sein – nicht Nachzügler. Aber wir brauchen eine neue Mentalität. Eine, die nicht in jedem Nachhaltigkeitsprojekt eine Gefahr, sondern eine Chance erkennt. Eine, die nicht fragt: „Was kostet es?“, sondern: „Was kostet es, wenn wir nichts tun?“
Was ich in meiner täglichen Arbeit sehe: Wenn Unternehmen anfangen, wirklich ganzheitlich zu denken – von der Rohstoffquelle bis zum Endprodukt – dann entstehen bessere Entscheidungen. Dann wird Nachhaltigkeit kein Buzzword, sondern Teil der täglichen Steuerung. Und plötzlich erkennen auch kleine und mittlere Betriebe: Es geht nicht nur um Klima. Es geht um Zukunftssicherheit, um Wettbewerbsfähigkeit, um Resilienz.
Was es jetzt braucht: Entscheiden statt vertagen
Wir können in der Schweiz nicht länger auf die Politik zeigen oder auf andere Länder warten. Jede Firma, jedes Produkt, jede Entscheidung entlang der Lieferkette kann Teil der Lösung sein. Aber dafür müssen wir raus aus der „Nein, aber“-Haltung – und rein in die Verantwortung.
Als SCM-Experte sehe ich täglich, wie viel Potenzial ungenutzt bleibt. Und ich frage mich: Wann hören wir auf, auf das Übermorgen zu verschieben, was wir heute in der Hand hätten?
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