Sorge tragen statt zerstören – die vergessene Verantwortung des Mittelstands.
- Redaktion The Supply Chain Experts GmbH

- 20. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Nachhaltigkeit im Supply Chain Management ist längst kein Trendthema mehr – sie ent-scheidet über Zukunft oder Rückschritt. Viele Schweizer KMU betrachten ihre Lieferketten noch immer primär unter Kostenaspekten. Doch wer Nachhaltigkeit nur als Pflicht versteht, verpasst den eigentlichen Kern: Im SCM entsteht nicht nur der grösste ökologische Fussabdruck, sondern auch das grösste Potenzial, Verantwortung zu übernehmen. Dieser Beitrag zeigt, warum nachhaltiges Handeln in der Lieferkette kein Idealismus ist, sondern strategische Notwendigkeit.
Nachhaltigkeit – kaum ein Begriff wird heute häufiger verwendet und gleichzeitig häufiger missverstanden. In Geschäftsberichten, Strategiepapiere und Marketingkampagnen ist sie allgegenwärtig. Doch zu oft bleibt sie an der Oberfläche: eine Worthülse, eine Imagefrage, ein Feigenblatt.
Im Schweizer Mittelstand, insbesondere in Industrie, Handel und Logistik, ist das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zwar vorhanden – die konsequente Umsetzung hingegen noch selten. Zu tief sitzen jahrzehntelang eingeübte Denkmuster, die auf Effizienz, Gewinnmaximierung und kurzfristige Rendite ausgerichtet sind. Das Motto lautet häufig: „Nach mir die Sintflut.“
Doch dieses Denken gefährdet das, was den Mittelstand ausmacht – Stabilität, Vertrauen und Zukunftsfähigkeit.
Nachhaltigkeit ist keine Managementmethode – sie ist Haltung
Viele Unternehmen betrachten Nachhaltigkeit als ein weiteres Managementkonzept, das sich mit Kennzahlen, Zertifikaten und Audits abhaken lässt. In Wahrheit ist sie eine Haltung, die in jeder Entscheidung sichtbar werden muss – in der Beschaffung, der Produktion, der Logistik und im Umgang mit Mit-arbeitenden.
Nachhaltigkeit bedeutet, Sorge zu tragen statt auszubeuten, zu erhalten statt zu zerstören und langfristig zu denken statt kurzfristig zu profitieren. Sie fordert eine Haltung, die Verant-wortung über den eigenen Geschäftszyklus hinaus übernimmt.
Im Supply Chain Management (SCM) wird diese Haltung besonders greifbar. Hier entscheidet sich, ob Unternehmen wirklich nachhaltig agieren oder bloss darüber sprechen. Denn entlang der Lieferkette entstehen nicht nur die meisten CO₂-Emissionen (Scope 3), sondern auch die grössten Risiken – von Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Ressourcenverschwendung. Gleichzeitig bietet die Lieferkette die grössten Chancen, echte Veränderung zu bewirken.
Das Paradox im Mittelstand – Bewusstsein ja, Umsetzung nein
Viele Schweizer KMU wissen um die Dringlichkeit nachhaltigen Handelns. Doch der Schritt von der Einsicht zur Umsetzung bleibt oft aus.
Die Gründe sind nachvollziehbar:
knappe Ressourcen,
fehlende personelle Zuständigkeit,
Kostendruck,
Unsicherheit über regulatorische Entwicklungen.
Zudem fehlt in vielen Unternehmen der ganzheitliche Blick. Nachhaltigkeit wird als isoliertes Projekt be-trachtet – nicht als integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. Das Ergebnis: vereinzelte Massnahmen statt systematischer Transformation.
Dabei ist gerade der Mittelstand ein zentraler Hebel für eine nachhaltige Wirtschaft. Er prägt den Charakter der Schweizer Industrie – innovativ, qualitätsbewusst, bodenständig. Doch ohne Weitblick droht dieses Fundament zu erodieren.
Supply Chain Management als Spiegel der Verantwortung
Das Supply Chain Management ist mehr als operative Logistik oder Kostenoptimierung – es ist die strategische Schaltstelle für nachhaltiges Wirtschaften.
Hier wird sichtbar, ob ein Unternehmen seine Verantwortung ernst nimmt:
Werden Lieferanten nach ESG-Kriterien ausgewählt?
Werden Transportwege effizient gestaltet?
Werden Risiken in der Lieferkette aktiv gemanagt oder ignoriert?
SCM verbindet wirtschaftliche Vernunft mit ethischem Handeln. Wer seine Lieferkette transparent gestaltet, Risiken erkennt und partnerschaftlich mit seinen Zulieferern arbeitet, stärkt nicht nur seine Resilienz, sondern auch seine Reputation.
In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit zunehmend zum Entscheidungskriterium für Kunden, Investoren und Behörden wird, ist sie kein Zusatz, sondern eine Notwendigkeit.
Der Schweizer Kontext – Chancen und Versäumnisse
Die Schweiz verfügt über hervorragende Voraussetzungen, um eine nachhaltige Wirtschaft zu gestalten: Innovationskraft, hohe Qualitätsstandards, gesellschaftliches Verantwortungs-bewusstsein.
Doch während die EU mit der CSRD und den ESRS-Standards klare Leitplanken geschaffen hat, verharrt die Schweiz vielerorts im Abwarten.
Diese Zurückhaltung kann teuer werden. Denn europäische Kunden verlangen zunehmend Nachweise über Emissionen, Lieferkettenstandards und ESG-Konformität – auch von Schweizer Zulieferern. Wer darauf nicht vorbereitet ist, riskiert mittelfristig Auftragsverluste.
Gleichzeitig liegt in dieser Entwicklung eine grosse Chance: Unternehmen, die Nachhaltigkeit glaubwürdig und messbar in ihre Geschäftsmodelle integrieren, verschaffen sich einen echten Wettbewerbsvorteil.
Nachhaltigkeit ist kein Kostenfaktor – sie ist ein Stabilitätsfaktor
Nachhaltigkeit bedeutet nicht automatisch höhere Kosten. Im Gegenteil: Sie schafft lang-fristige Stabilität. Unternehmen, die Ressourcen effizient nutzen, möglichst regionale Liefer-anten einbeziehen und Energie-verbrauch senken, reduzieren nicht nur Emissionen, sondern auch Abhängigkeiten und Risiken.
SC-X spricht in diesem Zusammenhang von frugalen Lösungen – pragmatisch, kosteneffizient und wirkungsvoll. Nachhaltigkeit ist kein Luxus, sondern eine Form betriebswirtschaftlicher Intelligenz.
Resiliente Lieferketten, transparente Beschaffung und nachhaltige Logistik sind die besten Versicherungen gegen Störungen – ob geopolitischer, klimatischer oder ökonomischer Natur.
Die Enkelverpflichtung – Verantwortung über Generationen hinweg
Wir bei SC-X nennen das Prinzip "Enkelverpflichtung".
Es beschreibt die moralische und unternehmerische Verantwortung, so zu handeln, dass auch kommende Generationen noch unter fairen, stabilen und lebenswerten Bedingungen wirt-schaften können.
Diese Denkweise verbindet ethisches Handeln mit strategischem Weitblick. Nachhaltigkeit ist damit keine moralische Kür, sondern eine unternehmerische Pflicht.
Denn wer heute Ressourcen verschwendet oder Menschen ausbeutet, gefährdet die Grund-lage seines eigenen Erfolgs von morgen.
Die Enkelverpflichtung fordert, über den eigenen Lebenszyklus hinauszudenken – ein Wert, der tief in der Schweizer Kultur verankert ist: Qualität, Zuverlässigkeit und Verantwortung.
Vom Reden zum Handeln – Nachhaltigkeit in der Praxis
Der Weg zur nachhaltigen Lieferkette beginnt mit klaren Schritten:
Transparenz schaffen: Analyse der eigenen Wertschöpfungskette, Identifikation von Risiken und Hebeln.
Lieferanten einbinden: Nachhaltigkeitskriterien in Auswahl, Verträgen und Audits verankern.
Ressourcen optimieren: Energie- und Materialeffizienz gezielt steigern – pragmatisch und messbar.
Transport und Logistik überprüfen: Bündelung, Routenoptimierung, lokale Partnerschaften.
Mitarbeitende sensibilisieren: Nachhaltigkeit als Teil der Unternehmenskultur verankern.
Wichtig ist dabei: Kleine Schritte sind besser als keine. Nachhaltigkeit entsteht durch Kontinuität, nicht durch Kampagnen.
Fazit – Nachhaltigkeit ist Identität, nicht Image
Der Mittelstand ist das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft – und trägt damit eine besondere Verantwortung.Nachhaltigkeit ist kein Projekt, das man abhaken kann, und kein Kostenblock, den man auslagert. Sie ist eine Haltung, eine Strategie und letztlich eine Frage der Identität.
Gewinnstreben – ja. Aber ohne das Bewusstsein für Erhaltung, Fairness und Verantwortung verliert Gewinn an Wert.
Denn wer nur nimmt, wird irgendwann nichts mehr haben, woraus er schöpfen kann. Und wer erhält statt zerstört, schafft Werte, die bleiben – ökologisch, sozial und ökonomisch.
Oder anders gesagt:
Nachhaltigkeit ist das, was bleibt, wenn der Trend vorbei ist.




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