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Netto 0 – und wenn wir es nicht ganz schaffen?

Die Schweiz hat sich gesetzlich verpflichtet, bis zum Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Das bedeutet, dass sämtliche Treibhausgase aus Industrie, Mobilität, Energie, Landwirtschaft und Gebäuden entweder vollständig vermieden oder durch technische oder natürliche Prozesse ausgeglichen werden sollen. Für viele klingt dieses Ziel weit entfernt – und doch hat es heute schon spürbare Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln, insbesondere im industriell geprägten Mittelstand.


Denn gerade Unternehmen aus Produktion, Handel und Logistik spüren den Druck zur Transformation ganz konkret. Kunden fordern klimaneutrale Produkte, Banken erwarten Nachhaltigkeitsnachweise, Gesetzgeber verschärfen die Anforderungen. Wer heute neue Maschinen investiert, neue Logistikverträge abschliesst oder Lieferanten auswählt, tut dies zunehmend unter der Fragestellung: Wie wirkt sich das auf unsere Emissionen aus?

Doch es mehren sich auch die Zweifel: Ist Netto 0 realistisch erreichbar – vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen mit begrenzten Ressourcen? Wie sollen Unternehmen die steigenden Anforderungen erfüllen, wenn gleichzeitig Energiepreise, Materialkosten und Personalaufwand steigen? Und was passiert, wenn das Ziel letztlich verfehlt wird?

 

Vielleicht wird die Schweiz Netto 0 bis 2050 tatsächlich nicht vollständig erreichen.

Vielleicht verbleiben 20 oder 30 Prozent Emissionen, weil Prozesse in der Grundstoffindustrie nicht vollständig dekarbonisierbar sind, weil Transporte mit alternativen Antrieben nicht flächendeckend verfügbar sind oder weil internationale Lieferketten noch nicht mitziehen.

Aber genau das ist kein Grund, das Ziel infrage zu stellen. Ohne dieses Ziel wären viele der positiven Entwicklungen der letzten Jahre gar nicht angestossen worden: der Umstieg auf Wärmepumpen, die Einführung von CO₂-Bilanzen, die Elektrifizierung von Fuhrparks, die strategische Neuordnung von Lieferketten mit Blick auf Regionalität und Klimawirkung. Das Ziel war – und bleibt – ein notwendiger Kompass.

Was es allerdings braucht, ist ein realistischer Umgang mit der Zielerreichung. Nicht jedes verfehlte Ziel ist ein Misserfolg. Nicht jeder Teilerfolg ist ein Grund zur Enttäuschung. Gerade im Schweizer Mittelstand geschieht derzeit sehr viel – nur selten laut, oft ohne PR, dafür mit Substanz. Betriebe investieren in energieeffiziente Produktionsanlagen, optimieren Transportwege, reduzieren Abfälle und verlängern Produktlebenszyklen. Es sind diese vielen kleinen und mittleren Schritte, die in der Summe Wirkung entfalten.

 

Nachhaltigkeit ja – aber nicht zu jedem Preis.

Ein Produktionsbetrieb mit 80 Mitarbeitenden kann nicht im selben Tempo umstellen wie ein börsennotierter Konzern mit eigener Nachhaltigkeitsabteilung. Ein Logistikdienstleister mit Diesel-Flotte kann nicht über Nacht auf E-Mobilität umstellen, wenn Ladeinfrastruktur und Reichweite fehlen. Und ein Handelsunternehmen mit asiatischen Zulieferern kann Scope-3-Emissionen nicht allein in den Griff bekommen. Aber: Wenn solche Unternehmen heute 30, 40 oder 50 Prozent ihrer Emissionen senken, ist das kein Versäumnis – es ist ein Fortschritt.

 

Das Ziel bleibt: Netto 0.

Aber der Weg dorthin ist nicht linear. Er verlangt Augenmass, technische Innovationskraft und politische Unterstützung. Vor allem aber verlangt er Mut zur Umsetzung – selbst wenn nicht alles perfekt ist.

Und vielleicht liegt genau darin die eigentliche Stärke des Ziels: Es bringt Menschen und Unternehmen in Bewegung. Und das ist – unabhängig vom exakten Endergebnis – bereits ein wesentlicher Teil der Lösung.

 
 
 

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